Menschen ohne Geschichte sind Staub : Homophobie und Holocaust
Die Gesellschaft der Holocaustopfer in KZs und Ghettos ist ein bis heute wenig erforschtes Thema. Zum einen sind sich die Historiker innen uneins, ob wir überhaupt von einer ?Gesellschaft? sprechen können; zum anderen liegt der Fokus zumeist auf Themen wie ?Solidarität? oder ?Widerstand?. Dabei werden jedoch zentrale Kategorien wie Geschlecht, Klasse, Ethnizität, Alter oder Sexualität oft vernachlässigt, durch die wir etwas über das Funktionieren der Häftlingsgesellschaft erfahren können. Dr. Hájková hat in ihrem Vortrag am 9. Dezember 2019 die die Homophobie der Lagergesellschaft untersucht und innerhalb der jüdischen Geschichte des Holocaust kontextualisiert. Dabei handelte es sich nach Hájková weder um eine Kontinuität der Vorkriegshomophobie noch um eine Reaktion auf die Konstruktion des ?schwulen Nazis? noch um eine Verinnerlichung der Homosexuellenverfolgung. Wie Insa Eschebach gezeigt hat, war Homophobie eine Anderung, eine soziale Reaktion der Insassen, die andere marginalisierten, um sich selbst zu etablieren. Zudem wurden im Vortrag verschiedene Formen von gleichgeschlechtlicher Sexualität untersucht: romantische, rationale und unter Zwang zustande gekommene; zwischen Menschen, die sich vor und nach der Haftzeit als homosexuell definierten oder nicht; zwischen Opfern oder zwischen Häftlingen und Aufseher innen. Im Anschluss an die Gefängnishistorikerin Regina Kunzel wurde gezeigt, weswegen es wichtig ist, eine queere Sexualität der Holocaustopfer als solche anzusehen und nicht als eine situative, "lagerbehaftete" Wahl. Schließlich hat Dr. Hájková deutlich gemacht, dass die Homophobie der Lagergesellschaft ein langes Nachleben hatte: Queere Personen wurden entweder verschwiegen oder als deviant stigmatisiert. Deren Erinnerungen sind eine Leerstelle in den Holocaustarchiven weltweit, und die Historikerin, die sich des Themas annahm, bekam zu spüren, wie unerwünscht ihre Arbeit ist.
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